Mittwoch, 4. Oktober 2017

Von Edmonton durch den Nordwesten - Im Herzen von Wells Grey - gewaltige Natur und Welt der Wasserfälle


R&G

Mit vollen Propangasflaschen haben wir uns nicht gescheut, nachts die Heizung laufen zu lassen. Daher mussten wir zu keiner Zeit frieren. Etwas störend ist allerdings, dass die Heizung ein recht geräuschvolles Gebläse hat, welches die Warmluft in der Wohneinheit über verschiedene Lüftungsöffnungen verteilt.

Am Morgen gibt es die gewohnten Rituale und nach dem Frühstück sind wir schnell abfahrbereit.

Eigentlich sind wir hier am Mahood Lake bereits am westlichen Rand des Wells Gray Provinzparkes, der sich über eine riesige Fläche erstreckt. Doch dieser Park ist eben auch sehr unberührt und hat außer der Hauptzufahrt vom Süden her - von Clearwater - praktische keine anderen Straßen, die hinein führen.

So können wir vom Mahood Lake nicht einfach mal weiter geradeaus in den Park fahren, sondern müssen in weitem Bogen nach Clearwater, um ins Herz der Parkes vorzudringen. Zumindest haben wir nicht vor, bis zum Cariboo Highway zurück zu fahren und die Cariboo Mountains in einem ganz weiten Bogen zu umfahren. Statt dessen haben wir einen Weg durch das südliche Cariboo Hochland gewählt, um den Umweg nicht zu sehr ausufern zu lassen.



Allerdings bedeutet die Wegstrecke auch wieder lange Abschnitte auf Schotterstraßen der Forstwirtschaft. Erst kurz vor Clearwater erreichen wir wieder befestigte Straßen. Dementsprechend langsam kommen wir voran und die Fahrt zieht sich hin.





Der heutige Plan sieht vor, zunächst Clearwater zu erreichen. Das Städtchen ist das Tor zum Clearwater Valley und somit zum Wells Gray Provincial Park. Von hier aus führt auch der einzige Parkway, die Clearwater Valley Road hinein und endet am Clearwater Lake.

Der Campground am Clearwater Lake soll auch unser Tagesziel sein, doch zuvor sind diverse Stopps im Park geplant. Einer davon ist natürlich der gigantische Helmcken Wasserfall, der das Highlight des Parkes ist. Aber es gibt noch viele andere Wasserfälle, von denen wir einige besuchen wollen.

Zunächst jedoch müssen wir in Clearwater den richtigen Abzweig in den Park finden und genau das misslingt uns im ersten Anlauf. Wir verfransen uns in dieser eigentlich recht übersichtlichen Ortschaft und finden uns in einer Siedlung mit Einfamilienhäusern wieder.

Nachdem wir aus dem Wohngebiet herausgefunden haben, kommen wir auf dem Highway am Ortseingang wieder heraus, über den wir vor einer halben Stunde schon mal in Clearwater angelangt sind.

Doch der zweite Versuch gelingt und wir fahren nun auf der Clearwater Valley Road nordwärts in den Park.

Im Zentrum des Wells Gray Provinzparkes liegt ein bewaldetes Hochplateau, welches von hohen, ebenfalls bewaldeten Bergen umgeben ist. Da dieses Hochplateau auf Sedimentgestein basiert, hat der Clearwater River quer durch diese Formation von Nord nach Süd einen Canyon geschnitten. Verschiedene  kleine und größere Flüsse im Park fließen dem Clearwater River zu und stürzen als beeindruckende Wasserfälle ins Clearwater Valley.

Der erste Wasserfall auf dem Weg in den Park nennt sich Spahats Falls.

Die Spahats Falls mit einer Fallhöhe von etwa 60 Metern sind ein sogenannter Punch Bowl Wasserfall, der dadurch gekennzeichnet ist, dass die Wasserkaskade sich vollständigt vom Fels löst und frei in ein erweitertes Becken stürzt. Da der Spahats Creek selbst einen kleinen Canyon in den Fels geschnitten hat und er wie aus einem Schlüsselloch zu kommen scheint, nennt man diese Art Wasserfälle gelegentlich auch Keyhole Falls.

Stromabwärts weitet die Schlucht sich und der Spahat Creek mündet in den dort fließenden Clearwater River.

Da dieser Wasserfall nur etwa hundert Meter zu Fuß vom Parkplatz aus entfernt liegt, sind hier entsprechend viele Besucher anzutreffen. Auch Busse mit asiatischen Reisegruppen sind hier anzutreffen, obwohl wir uns in der Nachsaison weniger Betrieb erhofft hatten.

Trotz der vielen Besucher gibt der Park mit seinen Naturphänomenen und der erhabenen Weite der Landschaft jedem Naturliebhaber ein ergreifendes Gefühl des Staunens über so viel unberührte Natur.


Wie an anderer Stelle bereits erwähnt, lässt uns der Wells Gray Park an die epischen Romane von James Fenimore Cooper denken, der in seinen Lederstrumpf-Erzählungen mit Helden, wie Chingachgook und Schilderungen über die Stämme an den großen Seen, die Weiten Nordamerikas zu Sehnsuchtsorten werden ließ.

Genau das sehen wir nun in diesem Park, wenn wir durch die alten Wälder aus Rotzedern und Hemlocktannen laufen, deren Bestand noch nie durch Kettensägen verjüngt wurde. Und wenn sich an der einen oder anderen Stelle am Rande einer Bergflanke oder Schlucht der Fernblick öffnet, dann verweilen wir und lassen den Blick über die weite Landschaft schweifen.


Nach diesem Stopp an den Spahats Falls mit einem kleinen Rundgang am Rand der Schlucht fahren wir weiter in den Park hinein und stoppen schon bald ein weiteres Mal.

Es ist der Startpunkt eines Wanderweges zu den Moul Falls, die wir eigentlich nicht in unserer Planung hatten. Doch nun denken wir: wo man fast 3 Kilometer zu Fuss hinlaufen muss, da sollten doch deutlich weniger Touristen hinkommen.

Also entschließen wir uns zu dieser Wanderung, auch wenn sie uns etwa 2 Stunden kosten wird.

Der Weg ist auf der ersten Hälfte recht leicht zu laufen, wird aber im zweiten Abschnitt schwieriger.

Wir erreichen die Moul Falls direkt an der Abbruchkante und sind zunächst enttäuscht, denn wir sehen das Wasser über die Felsenschwelle in der Tiefe verschwinden, ohne die gesamte Kaskade zu überblicken. 
Andere Besucher sind hier keine, bis auf ein Grüppchen, welches gerade auf den Rückweg begeben hat. Es scheint sich zu bewahrheiten, dass ein längerer Fußmarsch einen Großteil der "Lackschuh-Touristen" davon abhält, bis hierher zu gehen. Aber bei der schlechten Sicht auf diesen Wasserfall fragen wir uns, ob sich das gelohnt hat.

Doch dann fällt uns auf, dass der Weg noch weiter geht und als Trampelpfad an der Flanke der Schlucht nach unten führt. Also steigen auf diesen Weg hinunter in den kühlen Grund.



Der Abstieg führt zunächst etwas abseitig am Rand der Schluch entlang und Bäume und Sträucher verwehren die Sicht auf den tosenden Wasserfall. Auf halben Wege kommen uns von unten noch ein paar Wanderer entgegen. Das bestärkt uns darin, dass es nun doch noch einen lohnenden Blick auf den Sturzbach geben wird.

Als wir fast ganz unten am Grund der Schlucht angekommen sind, eröffnet sich das volle Panorama dieses Wasserfalles und wir stehen ganz nah an seinem Fuß. Feiner Nebel sprüht, zerstäubt vom Aufprall des Wassers auf das Geröll am Boden, zu uns herüber.

Die Schlucht liegt noch teilweise im Schatten, aber die Sonne auf ihrem Lauf zum westlichen Horizont leuchtet zunehmend in die felsige Kaverne hinein. Sonnelicht und sprühende Gischt lässt vor dem Wasserfall einen Regenbogen entstehen und wir haben diesen Anblick ganz für uns allein. Ein seltener Augenblick - auch in Kanada - dass man an so einem Ort mal ganz für sich ist.

Doch das währt nicht allzu lange. Wir sehen am Fels über dem Wasserfall Wanderer auftauchen und schon bald kommen sie den Pfad herunter.

Wir wiederum machen noch etliche Fotos und lassen zu guter Letzt die Drohne aufsteigen. Es ist eine kleine Herausforderung, den Flug vom Boden dieses engen Felsenkessels aus zu steuern, aber mit dem Ergebnis kann man recht zufrieden sein, auch wenn das Schlaglicht der Sonne einige Szenen überbelichtet erscheinen lässt.

Als wir damit durch sind, haben die Neueankömmlinge den Grund der Schlucht erreicht und wir erkennen dieses Grüppchen wieder. Es sind Schweizer, die wir bereits einmal in Watson Lake in der Visitor Information trafen und denen wir noch ein weiteres Mal in Jade City begegneten, wo wir im Jade Store mit ihnen ein Schwätzchen abhielten - die Welt ist ein Dorf.


Sie können sich sogar noch daran errinnern, dass wir zu ihren Vollbärten sagten, dass ich mir auch einen wachsen lassen sollte. Nun zeigen sie sich enttäuscht, dass sie mich so frisch rasiert wieder treffen.















Schließlich begeben wir uns auf den Rückweg zum Parkplatz.

Die Länge unserer Schatten zeigt uns, dass wir doch sehr lange an den Moul Falls verweilt haben und der Tag schon weit fortgeschritten ist. Es ist höchste Zeit, weiter zu fahren, denn die Attraktion des Parks, die Helmcken Falls, wollen wir unbedingt noch bei Tageslicht sehen und auch mit der Drohne filmen.

Also fahren wir auf dem Parkway weiter nordwärts, bis wir kurz vor der Brücke über den Murtle River die Dawson Falls erreichen.

Dieser Wasserfall ist insofern interessant, als dass man hier ein Gefühl dafür bekommt, wie wasserreich der Murtle River ist. Schließlich ist es genau dieser Fluss, der ganz unweit von hier über eine ungeheure Felsenschwelle in die Tiefe des Clearwater Valleys stürzt und unter dem Namen Helmcken Falls die Attraktion des Parkes bildet.


Die Dawson Falls sind nicht so gewaltig, aber man kommt relativ nahe heran. Sie werden auch mitunder als Little Niagara Falls bezeichnet, den das Wasser stürzt immerhin über eine 90 Meter breite Felsstufe etwa 15 Meter in die Tiefe.

 Man stelle sich nun vor, dieses ganze Wasser stürzt 120 Meter in die Tiefe. Genau das passiert mit dem Murtle River nur wenige Kilometer von hier und wir fahren nun dorthin.

Die fortgeschrittene Stunde hat schon am Dawson Wasserfall die Besucherzahl reduziert. Wenig später sehen wir auch auf dem Parkplatz am Helmcken Wasserfall, dass nur noch wenige Touristen da sind.

Uns ist es recht, denn dann können wir ohne viel Aufsehen unseren Drohnenflug absolvieren.

Film- und Fotoaufnahmen am Helmcken-Wasserfall sind eine Herausforderung, da der Kontrastbereich sehr groß ist. Von sonnenbeschienenen Bereichen an der Nordflanke bis hin zu den düsteren Höhlungen der unteren Felsenkaverne besteht ein gewaltiger Helligkeitsunterschied. Gerade am Abend, wo die Sonne eigentlich aus West sozusagen Rückendeckung gibt, erreicht ihr Licht die tiefen Lagen der Schlucht dennoch nicht. Doch am Ende können wir mit den fotografischen Ergebnissen zufrieden sein.

Aber warum hat der Murtle River an der Zunge des Wasserfalles nicht genau wie die Spahats Falls  eine Kerbe ins Sediment geschnitten und ein Schlüsselloch entstehen lassen? Die Antwort liegt in vulkanischen Vergangenheit des Murtle Plateaus die dazu geführt hat, dass neben jahrmillionen altem (weichen) Sediment auch erstarrte Lava die Tektonik im Park prägt. Und genau hier lagert eine Schicht aus hartem Basalt, welcher dem Mahlwerk des Murtle Rivers widersteht. So konnte die Sturzkante des Wasserfalls über Jahrtausende auf der Höhe des Plateaus bestehen bleiben, während die Wassermassen dass weichere Sediment in der Tiefe zu einer immer gewaltigeren Kaverne aushöhlten.












Die gewaltige Fallhöhe von 120 Metern erscheint einem in der Totalvision des Wasserfalles kaum glaubhaft. Es ist jedoch zu bedenken, dass der einzige gut zugängliche Aussichtspunkt etwa einen halben Kilometer entfernt liegt und nur so kann man die Helmcken Falls - zumindest vom Boden aus - vollständig mit dem Blick erfassen.

Doch den Nachteil einer beschränkten Perspektive können wir nun durch einen Drohnenflug kompensieren und der hat sich, wie wir finden, absolut gelohnt. Hier ist das vielleicht eindrucksvollste Video dieser Reise aus der Vogelperspektive:



Wir verweilen an den Helmcken Falls noch ein Weilchen und lassen uns schließlich von der tief stehenden Sonne zum Aufbruch bewegen. Wir haben noch ein Stück Fahrt vor uns, tiefer in den Park hinein gen Norden, bis die Straße am Clearwater Lake endet.

Der Asphalt, der bis zum Helmcken Wasserfall noch die Straße bedeckte, endet schon bald und wir fahren wieder über Schotter. An dem einen oder anderem Haltepunkt stoppen wir jeweils kurz, um einen Blick über den Clearwater River und die umgebende Landschaft zu erhaschen. Aber die Sonne steht schon hinter den Bergen und lässt bereits die Dämmerung über das Clearwater Tal kriechen.

Kurz vor dem Ende der Straße am Clearwater Lake überquert eine Elchkuh vor uns die Straße. Leider legt sie keinen Wert auf das Posieren vor der Kamera und verschwindet schnell im Unterholz. Da das Tier in unmittelbarer Nähe der Zufahrt zum Campground herumstreunte, haben wir Hoffnung, es nochmal zu sehen, wenn wir hierher zurückkehren.

Hinter dem Provinzpark-Campground, der keinerlei Service bietet, wie Strom, Wasser und Abwasser, liegt noch ein weiterer bewirtschafteter Campground, der allerdings teuer ist. Dann kommt schon das Ende der Straße mit einem Bootslaunch am See und einem kleinen Parkplatz dazu.

Hier kann man gut sehen, wie sich die Dämmerung wegen der Schatten werfenden Berge über den See legt. Der Clearwater Lake ist ein exzellentes Revier für Wassersportler, die ihre Fahrzeuge genau hier abstellen können und mit Kanu oder Kajak mehrtägige Wasserwanderungen in die Wildnis unternehmen können. Entlang des Ufers gibt es ensprechend mehrere spartanische Campingplätze.


Der See mit einer Länge von 24 Kilometern ist aber für Wasserwanderer noch nicht das Ende. Hinter einer 500m langen Flussverbindung folgt der Azure Lake, der ebenfalls nochmal 24 Kilometer lang ist. Ganz Hartgesottene können es versuchen, auch noch den 29 Kilometer langen Hobson Lake zu erreichen, der noch einige Kilometer weiter über einen Abfluss mit dem Clearwater Lake verbunden ist.

Wir allerdings kehren um und fahren die wenigen hundert Meter zurück zum Tor des Campgrounds und zwar jenes Provinzpark-Campgrounds ohne Service.

Dabei läuft uns tatsächlich die Elchkuh von vorhin ein weiteres Mal über den Weg. Doch auch diesmal verzieht sie sich schnell und wir fahren auf den Campingplatz. Dieser ist absolut leer und wir haben freie Wahl.

Wir stellen uns auf einen Platz mit Blick über den Clearwater River und auf den unweit vor sich hin rauschenden Osprey Wasserfall.

Dann gehen wir nochmal zu Fuß los und schleichen durch die Campground-Loop und ein Stück vor das Tor, doch den Elch können wir nicht mehr ausfindig machen. Schließlich ist auch die Dämmerung so weit fortgeschritten, dass das Fotografieren nicht mehr möglich ist und wir entfachen auf unserem Stellplatz ein Lagerfeuer. Als dieses heruntergebrannt ist und wir abermals am Nachthimmel keine Nordlichter sehen, beenden wir den Tag mit dem Rückzug ins Wohnmobil.

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