Obwohl die Nacht bereits einen klaren Sternenhimmel gezeigt hatte, sind gegen Morgen die Berge wieder wolkenverhangen.
Vielleicht sind es ja die Berge selber, die aus ihren regennassen Wäldern dicke Nebelschwaden aufsteigen lassen und so den Himmel über uns verhüllen.
Nach dem Frühstück im kuscheligen Wohnmobil sind wir alsbald zur Weiterfahrt bereit. Es gilt nun, den gleichen schlammigen Waldweg mit seinen riesigen wassergefüllten Löchern zu passieren. Aber auch auf dem Rückweg meistern wir das problemlos. Regenschwer hängen Birkenzweige in den Fahrweg, aber die drückt der Pickup-Camper problemlos zur Seite. Wenige Minuten später sind wir wieder auf dem Nisga'a Highway und rollen in Richtung Terrace.
Es sind nun etwa 60 Kilometer bis Terrace, welches ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt hier im nordwestlichen British Columbia ist. Doch schauen wir uns zuerst den Etappenplan für den heutigen Tag an.
Die heutige Tour wird wieder in starkem Maße den Zeugnissen indigener Kulturen gewidmet sein. Doch zuerst werden wir in Terrace tanken und dumpen. Dann schwenken wir auf Nordost und folgen dem Yellowhead Highway, der sich hier einen Straßenabschnitt (und die Nummerierung) mit unserem alten Bekannten, dem Stewart-Cassiar-Highway (37) bis Kitwanga teilt.
In Kitwanga machen wir einen Abstecher nach Norden zu einigen historischen Stätten bis nach Gitanyow. Schließlich kehren wir zurück zum Yellowhead Highway (16) und fahren nach Osten bis Hazelton. Hier wollen wir auf dem Campground beim Museumsdorf der Ksan die Etappe beschließen.
Doch zuerst steuern wir Terrace an. Diese Stadt ist die letzte größere Stadt am Yellowhead Highway, bevor dieser in Prince Rupert am Pazifik, genauer an der Hecate-Straße zum Queen-Charlotte-Sund endet, der durch die Haida-Gwaii-Inseln vom offenen Pazifik getrennt ist.
Parallel zum Yellowhead Highway führt auch eine Bahnlinie zur Pazifikküste und genau wie dieser, kommt sie über die Rockies aus Edmonton, Alberta.
Gleichzeitig führen von Terrace der Nisga'a Highway nach Norden und der Kitimat-Highway, der sich in der Verlängerung des Stewart-Cassiar-Highway ebenfalls der Nummer 37 bedient, nach Süden.
Dass die Stadt ein so bedeutsamer Verkehrsknotenpunkt ist, merkt man sofort am Verkehr. Doch wir verfolgen in der Stadt ein klares Ziel und folgen den Schildern zur Visitor Information, wo wir ganz wie erwartet eine Dumpstation vorfinden und Frischwasser aufnehmen.
Zum Tanken fahren wir einfach auf der Ausfallstraße zur Stadt hinaus und sehen am Stadtrand genügend Tankstellen, von denen wir eine erwählen. Damit lassen wir Terrace hinter uns und folgen dem Yellowhead Highway ostwärts.
Nach etwa einer Stunde entspannten Gleitens durch die eindruckvolle Landschaft entlang des Skeena River erreichen wir Kitwanga (Gitwangak). Hier trifft das südliche Ende des Stewart-Cassiar-Highway auf den Yellowhead-Highway und wären wir gestern nicht in die Nisga'a Road abgebogen, wären wir von Norden kommend hier angelangt. Doch nun biegen wir genau hier wieder nach Norden, um einige historische Stätten im traditionellen Siedlungsgebiet der Gitxsan und Gitanyow zu besichtigen.
Unser erster Halt gilt der Ansammlung von Totempfählen in Kitwanga (Gitwangak). Diese sind gut vom Highway aus zu sehen, befinden sich aber in einer Seitenstraße (Townchip Road) am Rande des Ortes.
Im Ort scheint aber ein Treffen stattzufinden, vielleich sogar ein Potlatch. Entlang der Reihe von Totempfählen parken viele Autos zu beiden Seiten der Straße und es kommen immer mehr dazu. Ihnen entsteigen Familien, die teilweise recht festlich gekleidet sind.
Wir finden mit Mühe einen Platz zum Parken und schlendern dann an den Totem Poles entlang.
Die Stelen sind ganz offensichtlich keine modernen Nachbildungen, sondern alte, zum Teil sehr verwitterte Clanwahrzeichen. Sie stellen die Symbole, Geschichte und Persönlichkeiten eines Familienverbandes dar und niemals eines ganzen Volkes oder Stammesverbandes. Daher finden sich an den traditionellen Siedlungsplätzen meist ganze Galerien von Totempfählen.
Der Ort selbst und die verstreut liegenden Bungalows wirken aber im Vergleich zum Nisga'a-Ort New Aiyansh ärmlicher. Dennoch ist seine Lage am Skeena River mit den umgebenden Bergpanoramen sehr malerisch.
Auch der Himmel scheint wieder aufreißen zu wollen, obwohl die bizarren Wolkenformationen und in den Bergen hängenden Nebelfetzen es an Dramatik nicht mangeln lassen.
Wo immer die Zusammenkunft der Familien stattfindet, es ist offensichtlich nicht die anglikanische St.Pauls Kirche im Ort, denn diese steht verwaist als malerische Kulisse vor den Bergen im Norden.
Und genau dorthin fahren wir nun weiter. Auf dem Highway 37 nordwärts liegt etwas mehr als 10 Kilometer entfernt der Ort Gitanyow (ehemals Kitwancool), der etwas abseits des Highway ebenfalls eine beeindruckende Parade an Totempfählen aufweisen soll.
Die kurze Strecke bis Gitanyow gibt uns nochmal das Wildnisgefühl des Highway 37 zurück, bis wir zu der kleinen Reservatssiedlung abbiegen.
Obwohl der Ort nicht sehr groß ist, verfehlen wir die Stelle mit den Totems erstmal und müssen eine Ehrenrunde durch die mit Wohnhäusern gesäumten Straßen fahren.
Ganz offensichtlich teilen die First Nation People nicht die Affinität des weißen Mannes für gepflegte Vorgärten. Die Grundstücke um die Bungalows herum machen einen wüsten Eindruck aufgrund des massenhaft herumliegenden Gerümpels. Dieses Reservat erfüllt gänzlich die Klischees über indianische Siedlungen, wie sie Hollywood in Filmen wie Wind River pflegt.
Nachdem wir uns nach dem Weg erkundigt haben, finden wir die Totems neben der örtlichen Tankstelle.
Die Ansammlung der hölzernen Wahrzeichen ist beachtlich und es stehen sogar zwei Häuser im Langhaus-Stil im Hintergund. Eines scheint eine Ausstellung zu beherbergen und das andere sieht wie eine Werkstatt aus. Aber beide Häuser sind verschlossen.
Aber es gibt auch außen herum viel zu sehen und der Variantenreichtum bei den Totems lässt uns staunen.
Es gibt sogar eine kleinere Stele aus behauenem Stein, wovon wir zuvor noch nie was gehört haben. Auch sehen wir Infotafeln, die aber wohl von der Provinzverwaltung British Columbias aufgestellt wurden, was aber davon zeugt, dass es ein Bewusstsein für diesen musealen Schatz auch in der Politik gibt.
Als dann noch die Sonne durchbricht und das goldene Laub der Birken im Hintergrund aufleuchten lässt, verwandelt sich der Platz in einen warmen und von Magie geprägten Ort, den wir noch eine geraume Weile genießen.
Auch hier wird ein weiteres mal deutlich, dass die Totempfähle nicht an irgendwelchen entfernt liegenden Ritualplätzen stehen - sie sind auch keine religiösen Wahrzeichen - sondern im Angesicht der Orte, wo die First Nations wohnen, also mitten im Dorf.
Einen weiteren Ort, eine historische Stätte wollen wir als letztes noch besuchen und fahren dazu wieder zurück in Richtung Kitwanga.
Der Blick in südliche Richtung vom letzten Stück des Stewart-Cassiar Highway ist einfach ergreifend. Die Bergkette des Bulkley Range ragt hinter einer Senke auf, in der man den Skeena River und damit den Yellowhead Highway erahnen kann.
Doch bevor wir dort wieder anlangen, finden wir etwas abseits der Straße den Gitwangak Battle Hill.
Es ist eine historische Stätte Kanadas und war einst ein einzigartiges Bauwerk. Heute ist zwar nurmehr ein Grasbewachsener Hügel übrig, doch Schautafeln illustrieren gut, worum es sich handelt und zwar stand hier einst ein Fort. Es war aber kein Fort weißer Siedler, sondern eine befestigte Wohnanlage der Gitxsan, die dieses Bauwerk zur Verteidigung und zur Kontrolle des Handels entlang des Kitwanga River errichtet haben.
Dementsprechend sah das Bauwerk nur auf den ersten Blick einem Fort der Europäer ähnlich. Es bestand aus vier Langhäusern auf der Kuppe des Hügels, die von einer Palisadenbrustwehr umgeben waren. Zur Abwehr von Angreifern ließ man Baumstämme an den Hügelflanken herabrollen und unter den Langhäusern auf dem Hügel gab es Gruben zur Vorratslagerung und als Schutzräume für Frauen und Kinder.
Und Angriffe gab es tatsächlich. Es waren vor allem die weit entwickelten Küstenstämme, die ihre Handelsrouten ausdehnen wollten.
Mündliche Überlieferungen datieren die Festung auf um 1700, weil die Haida auf der Jagd nach Sklaven auf sie stießen.
Beim letzten Ansturm um 1835 durch Tsimshian fiel die Festung und wurde von den Siegern geschliffen oder zumindest ihrer Wehrfähigkeit beraubt.
Steht man auf dem Hügel, kann man auf Anhieb verstehen, warum seine Lage von strategischer Bedeutung war. In einem Bogen vom Kitwanga River umflossen hat man eine Überblick über die umgebende lichte Auenebene.
Doch nun wollen wir weiter fahren und direkten Kurs auf unser Tagesziel nehmen. Das liegt bei New Hazelton und ist noch etwa 40 Kilometer entfernt. Genau genommen heißt unser Ziel Ksan Village Campground und liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem Museumsdorf der Ksan am Zusammenfluss von Skeena River und Bulkley River.
Und da die Zufahrt über Hazelton etwas knifflig ist, geben wir dem Navi das Ziel vor und folgen seinen Ansagen.
Nach dem wesentlichen Streckenabschnitt auf dem Yellowhead Highway gehts dann auch bald von der Hauptstraße ab und geradewegs in Richtung Ksan Village.
Doch genau hier führt uns das Navi in eine kuriose Falle, denn auf einmal stehen wir direkt vor dem Museumsdorf mit seinen Langhäusern, nur - zwischen uns und dem Ort liegt der reißende Bulkley River.
Keine Brücke, keine Fähre - die Straße endet am Fluss und wird von Einheimischen als Bootslaunch genutzt. Wir müssen uns nun eine Route suchen, die uns über den Fluss bringt und das erweist sich als gehöriger Umweg über New Hazelton.
Doch trotz dieser Irritation mit dem Navi sind wir relativ zeitig am Platz. Der Campground ist überraschend gut gepflegt und schön gelegen. Er ist auch nicht voll und liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Museumsdorf.
Das erste was wir tun, ist uns anzumelden. Die Preise sind auch nicht überzogen, wie auf so manchen anderen Full-Hookup-Platz. Allerdings gibt es auch Plätze ohne Festanschlüsse und da wird es noch einmal preiswerter. Der Campground ist offensichtlich ein genossenschaftliches Unternehmen der Gitxsan, wie auch das Museumsdorf nebenan.
Nach der Anmeldung und Platzauswahl besichtigen wir noch die Sanitäranlagen und orientieren uns auf dem Platz, bevor wir zu einem Spaziergang aufbrechen. Der Campground liegt am äußersten Zipfel einer Halbinsel, die durch den Zusammfluss von Bulkley und Skeena River gebildet wird und wir haben unseren Stellplatz so gewählt, dass wir mit nur wenigen Schritten ans Ufer des Skeena River gelangen.
Doch dann gehen wir los mit dem Ziel, das Ksan Historical Villages zu besichtigen.
Dazu müssen wir nur die Rezeption des Campgrounds passieren und schon lädt uns eine große Tafel ein, dass Museum zu besuchen. Nach etwa hundert Metern betreten wir ein ganzes Dorf aus Langhäusern und Totempfählen.
Das Ksan Historical Village liegt zwar in Sichtweite des Ortes Gitanmaax, wo die hiesigen Gitxsan seit früheren Zeiten siedelten. Doch Gitanmaax hat sich mit der Besiedlung durch Europäer zum Westernstädtchen Old Hazelton gewandelt und so wurde das Dorf als Freiluftmuseum an einer unbebauten Stelle am Fluss errichtet. Dazu wurden unzählige historische Artefakte restauriert, aber auch nachgebaut, doch das Ergebnis beeindruckt sehr.
Beim Bummel durch das historische Dorf wirken die hölzernen Kunstwerke im Licht der tiefstehenden Sonne und vor dem Hintergrund der Landschaft und des dramatischen Wolkenhimmels besonders magisch und spirituell.
Auch hier sind die Fronten der Langhäuser mit Tribalsymboliken bemalt und die Kunsfertigkeit der Erbauer manifestiert sich in Verzierungen, wie Firstbalken, die als Adlerköpfe enden, oder Totempfähle, die als Hauseingang gestaltet sind.
Es sind insgesamt sieben Langhäuser in der Anlage zu bewundern. In einem ist das Museum und der Souvenirshop untergebracht, in einem weiteren eine Werkstatt für Restaurierungsarbeiten. Die anderen Gebäude sind verschlossen. Doch allein der Spaziergang durch die Anlage ist sehenswert. Auch der Blick über den Bulkley River ist wunderschön und so treiben wir uns noch eine ganze Weile zwischen den hölzernen Zeugnissen der indianischen Kultur herum. Dann wenden wir uns einem weiteren Ziel zu - ebenfalls zu Fuß.
Unser Ziel ist der Ortskern von Old Hazelton, welches sich an der Stelle des ursprünglichen Gitanmaax durch das Vordringen des weißen Mannes entwickelt hat. Zuerst enstand ein Handelsposten mit Poststation und etwas später ein Anlaufpunkt für Dampfschiffe, die sich auf dem Skeena River von der Pazifikmündung her hinaufarbeiteten.
Hier stehen einige historische Gebäude und unser Plan ist es, vielleicht mal eine echte Westernbar auf einen Wiskey zu besuchen.
Old Hazelton wirkt allerdings ziehmlich ausgestorben. Dennoch bietet es in der Abendsonne eine beeindruckende Szenerie, wie einem Western entstiegen.
Zunächst gehen wir bis ans Ufer des Skeena River und lesen einige Schautafeln zu Geschichte des Ortes. Dann durchstreifen wir einige Straßenzüge und finden tatsächlich eine Art Bar. Aber unsere Vorsätze sind dahin, als wir das schummrige und wenig einladende Ambiente mit zwielichtigen Gestalten sehen.
Dann doch lieber eine Flasche Wein auf dem Campground, denken wir und werden auf dem Rückweg in unserer Entscheidung bestärkt, als wir in einiger Entfernung betrunkene und grölende Native People sehen.
Aber es war nicht die schlechteste Entscheidung, denn wir machen es uns auch heute wieder nach dem Abendbrot am Lagerfeuer gemütlich und beobachten ein weiteres Mal den Sternenhimmel. Bei unbewölktem Nachthimmel - ganz klar - machen wir uns natürlich wieder Hoffnungen auf Nordlichter, aber auch in dieser Nacht bleiben sie aus.
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