Auch wenn wir am Abend zuvor nicht ganz so lange draußen ausgeharrt hatten, so war es doch immerhin Mitternacht, als wir uns in den Camper zurückgezogen haben. Den Fotoapparat hatten wir auf dem Stativ weiter schuften lassen.
Natürlich treibt einen dann doch die innere Unruhe im ersten Morgengrauen aus dem Camper, um nachzusehen, ob mit dem Fotoaufbau alles in Ordnung ist. Aber damit ist alles gut. Das Stativ steht genauso da, wie am Abend zuvor aufgestellt, nur ist das Gehäuse des Fotoapparates feucht vom Morgentau. Dank des angebauten Batteriegriffes, mit dessen Hilfe sich gleich zwei Akkus parallel nutzen lassen, hat der Fotoapparat noch genügend Saft, um ein paar Impressionen der Morgenstimmung am See einzufangen.
Es scheint wieder ein schöner Tag werden zu wollen und der Himmel ist so gut wie wolkenlos. Im Osten zieht die Morgenröte herauf und auch die hellsten Sterne verblassen endgültig.
Es ist nicht total still, denn vereinzeltes Vogelgezwitscher schallt über den See. Aber ganz lautstark zirpt ein Baumhörnchen ganz in der Nähe des Campers.
Schließlich ist es Zeit für Frühstück, welches wir im Camper genießen. Diesen hatten wir fürsorglich so ausgerichtet, dass wir von der Sitzecke aus den Blick über den See genießen können.
Der Etappenplan für heute steht fest. Wir wollen bis zum Sambaa Deh Falls Territorial Park fahren und dort am Trout River wandern. Unterwegs werden wir zuerst einen Abstecher nach Hay River machen und die Möglichkeiten der zweitgrößten Stadt der NWT nutzen, also Einkaufen und ein Besuch in der Visitor Information. Dann soll es weiter auf der Wasserfallroute gehen, an deren Ende die beiden Wasserfälle "Samaa Deh Falls" und Coral Falls" am Trout River liegen, unserem Tagesziel.
Das heißt als erstes: Auf dem Fort Smith Highway westwärts, die aufgehende Sonne im Rücken. Bis zur Brücke über den Hay River rollen wir so über den menschenleeren Highway, dann gehts ein Stück nordwärts. Die Stadt Hay River liegt an der Mündung des gleichnamigen Flusses in den großen Sklavensee. Wie bereits erwähnt, ist sie nach Yellowknife der Hauptstadt der Nordwest-Territorien die zweitgrößte Siedlung mit ca. 3600 Einwohnern. Den Fluss Hay River kennen wir bereits vom beeindruckenden Alexandra-Wasserfall.
Wir nutzen also diese Möglichkeiten um uns zu bevorraten und unsere Autonomie im Wohnmobil aufrecht zu erhalten. Dazu gehört auch das Dumpen der Abwässer und das Auffüllen von Frischwasser, was wir am Visitor Center erledigen können.
Wegen des allgemeinen Interesses an diesem Thema haben wir auch ein Erklärvideo auf Youtube gestellt, welches sich genau an dieser Visitor Information abspielt.
Nur Tanken wollen wir nicht in der Stadt, sondern werden die letzte Möglichkeit in Richtung Westen in Enterprise nutzen.
Enterprice ist ein kleiner Ort am Abzweig vom MacKenzie Highway nach Hay River und ist eigentlich nur durch seine Tankstelle und den Posten der Highway Police wahrnehmbar. Hier tanken wir, damit wir für die sehr lange Strecke bis Fort Simpson gewappnet sind - 400 km ohne Tankgelegenheit.
Nun geht es erstmal westwärts auf dem MacKenzie Highway. Der Streckenabschnitt seit dem Twin Falls Gorge Territorial Park trägt nicht umsonst den Namen Waterfall Route. Entlang dieser Straße findet man einige zum Teil sehr mächtige Wasserfälle. Der erste war der Alexandra Wasserfall. Denn Louise Wasserfall ließen wir links liegen. und jetzt erreichen wir den McNally Creek an einem kleinen, aber sehr bezaubernd erscheinenden Wasserfall.
Dieser Wasserfall ist geologisch ähnlich entstanden, wie auch die anderen Wasserfälle auf dieser Route. Die Ebene südlich des Großen Sklavensees ist eine große Sedimentplatte, welche durch die Eiszeit geschliffen wurde und in Richtung des riesigen Sees und des MacKenzie River sanft abfällt.
Das Sediment ist jedoch nicht so hart, dass die Flüsse auf dem Weg nach Norden sich nicht hätten hineinschneiden können. Und an weicheren Gesteinsabschnitten haben sich entsprechende Stufen mit Wasserfällen bilden können. Meist bilden sich am Fuße solcher Wasserfälle Kavernen, die durch die stetige Arbeit von Wasser und im Winter durch Frost besonders stark ausgehöhlt werden.
Auch der McNally Creek wird durch einen kleinen Territorialpark gewürdigt und so vor anderweitiger Nutzung bewahrt. Allerdings gibt es hier keinen Campground, sondern nur eine Picknickzone für die Nuzung am Tage - eine sogenannte Day Use Area.
Hier absolvierten wir wieder einen kleinen Drohnenflug der weiter unten zusammen mit den Aufnahmen von Coral Wasserfall zu sehen ist.
Nach dem McNally Creek kommt erstmal ein längerer Abschnitt ohne Zwischenstopp. Auf den Abstecher nach Kakisa zum Lady Evelyn Wasserfall verzichten wir. Ewas später kommt der Abzweig des Yellowknife Highway nach Norden. Er überquert bei Fort Providence den MacKenzie River und umfährt den Großen Sklavensee, welcher eher mit einem Meer zu vergleichen ist, an dessen Nordseite nach Yellowknife, dem Verwaltungssitz der NWT.
Wir aber folgen dem MacKenzie Highway weiter westwärts, wo er sich nach einer Weile in eine Schotterpiste verwandelt. Wir stoppen einmal kurz am Wallace Creek, einem Bächlein, das ebenfalls einen kleinen Canyon ins Sediment geschnitten hat. Wie die meisten Flüsse hat auch er Niedrigwasser und weist kaum Strömung auf.
In der Nachmittagssonne ist das ein richtig warmes windstilles Plätzchen. Hier verweilen wir etwas, bis wir feststellen, dass dieses spätsommerliche Aufbegehren der Sonne auch zunehmen Mücken auf den Plan ruft. Somit ist die Pause beendet.
Bis zu unserem Tagesziel fahren wir ohne weitere Unterbrechungen, denn wir wollen noch eine kleine Wanderung machen. Es ist der Sambaa Deh Territorial Park. Er befindet sich am Trout River direkt an der Brücke des MacKenzie Highway. Zu unserem Bedauern ist aber auch dieser Campground schon geschlossen, aber eine Alternative in der Nähe wird wohl zu finden sein.
So stellen wir unseren Camper erstmal vor der geschlossenen Schranke ab und rüsten uns für einen kleinen Fußmarsch am Trout River entlang. Zuerst soll es zum Coral Wasserfall gehen, dem entlegeneren von beiden. Den Namen Corall Falls hat er von den vielen fossilen Abdrücken von Muscheln und Korallen im kalkhaltigen Sediment. Auch wir finden auf Anhieb Brocken mit solchen Abdrücken.
Der niedrige Pegel des Flusses erleichtert das Auffinden solcher Exemplare aber er erlaubt es auch, direkt am Wasser zu wandern, wo bei höherem Pegel das Wasser wohl bis an die Felsen des Canyon herangereicht hätte und ein Vorbeikommen unmöglich gemacht hätte. Die Kehrseite des niedrigen Wasserstandes ist natürlich, dass die Wasserfälle sich nicht ganz so brachial ergießen und somit weniger imposant sind. Der Coral Fall wirkt von weitem auch erstmal nicht sehr mächtig.
Doch je näher man kommt, umso deutlich wird, dass er durchaus imposant und weit übermannshoch ist. Und sein dröhnendes Tosen macht deutlich, dass hier ein ganzer Flüss mal eben über eine Kante hinunter stürzt.
Hier nun die zusammengefassten Flüge vom McNally Creek und vom Corall Wasserfall:
Wir kraxeln noch auf die Schwelle des Wasserfalls hinauf (dann auch wieder hinunter) an einer Stelle, wo passenderweise ein schräg angelegter Baumstamm und ein Strick als Kletterhilfe von irgendwem hinterlassen wurde.
Bis zur Felsennase an der Zunge des Wasserfalls wagen wir uns vor und sehen, dass diese schon Risse im Fels gebildet hat - eine Frage der Zeit, bis sie abbricht und im strudelnden Whirlpool verschwindet.
Nach einer Weile gehen wir zurück und unter der Brücke hindurch zum Sambaa Deh Wasserfall. Dieser ist aber nurmehr eine Stromschnelle, wild und reißend zwar, aber nicht so ein typischer Wasserfall, der über eine Schwelle stürzt. Auch stört es ein wenig die Natürlichkeit der Szenerie, dass die Highway-Brücke unmittelbar am Wasserfall im Blickfeld ist.
Die Sonne steht nun schon sehr tief und es ist Zeit, sich um einen Übernachtungsplatz zu kümmern. Einige Kilometer Richtung Osten zurück auf dem Highway gibt es einen Anschluss an eine Winterstraße zum Trout Lake. Solange kein Frost ist, endet die Schneise nach wenigen hundert Metern einfach im Moor und ist nur im Winter nutzbar. Vielleicht kann man da etwas abseits vom Highway, der selbst nur eine Schotterpiste ist, stehen.
Doch offenbar müssen wir gar nicht so weit zurück fahren, denn nach wenigen hundert Metern fällt uns ein Forstweg auf, der nach Süden in den Wald führt. Aufgrund der Sicherheit, die ein zuschaltbarer Allradantrieb mit Differenzialsperre bietet, scheuen wir uns nicht, diesen Weg zu erkunden - mit einem ganz guten Ergebnis: Nach hundert Metern öffnet sich eine recht große Lichtung, wahrscheinlich eine von der Forstwirtschaft angelegte Brache zum Verladen von Holz, wenn mal wieder die großen Baumerntegeräte im Wald sind. Doch jetzt im letzten Tageslicht sind wir hier mutterseelenallein und auf dem Highway sieht mal nur noch alle halbe Stunde mal einen Pickup vorbeibrausen.
Das ist natürlich noch ein Tick gruseliger, als am Polar Lake, denn dort waren wenigstens noch zwei andere Wohnmobile in der Nähe. Aber wir machen flugs ein ordentliches Lagerfeuer um neugieriges Getier auf Distanz zu halten und je länger man an einem Ort verweilt, umso vertrauter wird er letztlich. Feuer und Campingstühle stellen wir so auf, dass ein Rückzug ins Wohnmobil schnell möglich ist, aber letztlich ist die Angst vor wilden Tieren etwas irrational. Bären nähern sich extrem selten einer durch Menschen belebten Szenerie und Pumas gibt es soweit nördlich nicht.
Und da hier im Stammesland der Dene viel gejagt wird, sind auch die Bären (obwohl eigentlich geschützt) nochmal etwas scheuer, als in den Nationalparks. Wölfe wären natürlich auch eine Gefahr, aber da sie sehr risikomeidende Jäger sind, gehen sie bei Menschen am Lagerfeuer auch nicht frontal vor. Solange sie nicht in großer Nahrungsnot sind (wie im tiefen Winter), gehen sie ohnehin nicht an Menschen heran.
Inzwischen ist die Nacht vollends über uns hereingebrochen. Und wieder erfüllt sich die Erwartung eines nächtlichen Himmelsspektakels. Wir hatten es zwar gehofft, aber eigentlich nicht mehr erwartet. Doch auch diesmal ist der Himmel sternenklar und die elektromagnetische Aktivität in der Atmosphere hoch. Und das lässt wieder die Aurora tanzen.
So sitzen wir mit Rotwein in den Gläsern zurückgelehnt in den Campingstühlen und genießen sie wieder, die tanzenden grünen und manchmal auch bunten Lichter. Auch diesmal ist der Fotoapparat auf dem Stativ ausgerichtet und arbeitet emsig im Serienbildmodus. Von den gelegentlich auf dem Highway vorbeifahrenden Fahrzeugen sieht man zwischen den Bäumen nur die Scheinwerfer durchschimmern und wir fragen uns, ob unser stattliches Lagerfeuer nicht auch von der Piste aus zu sehen ist.
Eine Antwort darauf sollten wir kurze Zeit später erhalten. Denn als wieder einmal Scheinwerfer zwischen den Bäumen hindurchscheinen, erkennen wir, dass das Fahrzeug stoppt und zurücksetzt und schließlich in unseren Waldweg abbiegt. Was kann der wohl wollen, fragen wir uns. Ist das vielleicht ein RCMP-Mounty (Royal Canadidian Mountain Police), der hier nach dem rechten sehen will?
Es ist ein großer dunkler Pickup, der auf die Lichtung gerollt kommt. Doch derjenige, der aussteigt ist kein Polizist, sondern ein Dene, also ein hiesiger Indianer. Er kommt auf uns zu und fragt: "Hello, excuse me, do you have a rope or a chain?". Ein Seil oder eine Kette - nein haben wir leider nicht.
Er erklärt uns, sie müssten einen weiteren Pickup abschleppen und es sei wichtig, denn dort wären auch Frauen und Kinder im Fahrzeug. Auch sein Pickup war ziemlich voll mit Leuten, das konnte man sehen, aber wir konnten ihnen nicht helfen, denn in unserem Mietfahrzeug waren derartige Utensilien nicht vorhanden. Er ging resigniert zu seinem Truck zurück und fluchte dabei lauthals: "Fuck! Fuck! Fuck!" was uns schon recht bedrohlich vorkam. Mit dem Wissen, das praktisch alle Dene hier im Norden auch Jäger sind und über Waffen verfügen, kam uns die Situation schon etwas unheimlich vor, aber er trollte sich weiter fluchend zu seinem Wagen und fuhr wieder davon.
Was es in den NWT bedeutet, liegen zu bleiben wird deutlich, wenn man die Entfernungen zu dem nächsten besiedelten Ort ansieht: Jean Marie River, wahrscheinlich nur eine Ansammlung von Dene-Bungalows liegt 80 km entfernt. Der nächste Ort mit Polizeistation, Fort Simpson, liegt bereits 152 km weit weg, über Schotter wohlgemerkt.
Wir können dennoch nach diesem Zwischenfall wieder unsere Aufmerksamkeit den Nordlichtern widmen, überlassen aber auch diesmal dem Fotoapparat die Arbeit für den Rest der Nacht (siehe Zeitraffervideo oben).
Am nächsten Morgen, als wir die Fototechnik wieder in den Camper reinholen, begrüßt uns abermals ein freundlicher, aber nicht mehr wolkenloser Himmel.
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