So wie die Nacht sternenklar war, so ist auch der Morgen wolkenlos. Der erste Blick aus dem Wohnmobil zeigt: Die Sonne muss sich schon über den Horizont erhoben haben, denn die obersten Baumwipfel über uns sind schon sattgelb angeleuchtet. Und die Sonnenstrahlen werden gleißend reflektiert. Ein Blick nach unten ins Gesträuch um uns herum zeigt auch, warum. Die Temperatur ist in der Nacht unter null Grad gefallen und alles ist bereift. Dort wo die Sonnenstrahlen bereits auftreffen, glitzert und funkelt es.
Die nächtliche Beobachtung der Nordlichter über dem Lesser Slave Lake hat uns in Hochstimmung aus den Federn getrieben und unseren Tatendrang gestärkt. Davon wollen wir noch mehr haben auf dieser Reise.
Wie jeden Morgen, frühstücken wir in Ruhe und beraten über das Tagesziel und eventuelle Stopps. Am Red Earth Creek gibt es ein Indianerreservat mit Campground und auch am Peerless Lake, etwas abseits ist ein Campground an einem See gelegen. Beides ist aber zu nahe, um die Tagesetappe dort bereits zu beenden. So entschließen wir uns, bis Fort Vermilion zu fahren und dort in der näheren Umgebung einen Übernachtungsplatz zu finden. Auf dem Weg dorthin werden nach Herzenslust Fotostopps einlegen.
Wir starten also wieder ziemlich früh und sehen auf dem Weg zum Highway, wie die Sonne den Reif dahinschmelzen und den Wald dampfen lässt. Das geht alles sehr schnell und nach den ersten Kilometern auf dem Highway 88 nach Norden ist aus dem frostigen Morgen ein sonnig-freundlicher Tag geworden und die Sonne hat den Asphalt bereits durchwärmt.
So rollen wir dahin auf der Fernstraße nach Norden und genießen die Fahrt auf der nahezu leeren Trasse. Die Landschaften sind eher gediegen und wenig spektakulär. Es sind die Wälder der großen kanadischen Taiga, die wir durchfahren und hier ist sie dominiert von Birken und Espen.
Bei einer Rast
beobachtet uns ein Rabe aus dem Geäst eines toten Baumes. Der Rabe ist bei den verschiedenen First Nations ein mystisches Tier - ein Geist, der ihr Leben prägt, Zeichen gibt und geehrt wird. Der Rabe wird von uns Europäern oftmals als lästiger Zivilisationsfolger wahrgenommen, der aufdringlich und laut ist. Aber in der Taiga ist er ein intelligenter Überlebenskünstler und ähnlich wie der Bär ein Allesfresser und flexibler Futteropportunist, der sich auf wechselndes Nahrungsangebot gut einstellen kann. Im Gegensatz zum Bären kann der Rabe sich allerdings keinen Winterschlaf leisten und muss auch im Winter Nahrung beschaffen können.
So fahren wir Stunden durch endlose Taiga, die noch im wesentlich grün ist und nur wenig herbstgefärbtes Lauf aufweist. Doch auf den letzten Kilometern vor Fort Vermilion stellen wir erstaunt fest, das hier wieder Landwirtschaft betrieben wird. Vermehrt tauchen wieder Farmen und weitläufige Felder auf.
Fort Vermilion wurde 1788 als Handelsposten der Northwest Company gegründet und teilt sich mit Fort Chipewyan den Titel der ältesten europäischen Siedlung in Alberta. Fort Vermilion liegt am Peace River und verdankt seinen Namen dem roten Farbton (Vermilion=Zinnoberrot) in den Flussbänken des Peace River. Ein Großteil der heutigen Bevölkerung sind Stammesangehörige der Dene First Nation.
In Fort Vermilion machen wir direkt am Fluss eine Mittagspause und treffen dort witzigerweise ein Paar aus unserem Wohnort in Deutschland. Sie sind mit einem Mietwagen unterwegs und übernachten per Bed & Breakfast. Daher brechen sie bald auf nach High Level, wo sie ihre nächste Bleibe ansteuern werden.
Old Bay House am Ufer des Peace River |
Wir hingegen können uns Zeit lassen, denn wir werden irgendwo hier zur Nacht stehen. Das nächste Ziel wird aber die Visitor Information sein und einige übrig gebliebene historische Gebäude. Das Visitor Center ist verbunden mit einem kleinen Museum, welches wir auch besuchen.
Es gibt einen Campground außerhalb des Ortes, aber der hat zwei entscheidende Nachteile. Zum einen liegt er zwar am Fluss, aber in unmittelbarer Nähe der Brücke, über welche der Highway den Fluss überquert. Der andere Nachteil ist, dass der Campground am Nordufer des Flusses liegt und den Blick über den Fluss in Richtung Süden freigibt, nicht aber nach Norden, wo die Nordlichter eher zu erwarten wären.
Also entschließen wir uns, auf dem städtischen Campground über Nacht zu stehen. Dieser Campground ist Teil des städtischen Golfplatzes und die Anmeldung ist im Clubhaus der Golfanlage.
Dort treffen wir einen gelangweilten Platzwart, der in der Lounge des Clubhauses mit den Beinen auf dem Tisch im Sessel abhängt und fernsieht. Als wir reinkommen, springt er auf. Wir checken ein und als wir seine Frage, ob wir auf die Quittung verzichten können, bejahen, bekommen wir einen Nachlass wegen der "verkürzten" Steuer. Etwas mehr Duschkomfort im Clubhaus können wir auch nutzen.
Dann haben wir jede Menge Zeit, den Abend kommen zu lassen und spazieren durch den Ort. Auf dem Rückweg zum Campground gehen wir über den städtischen Friedhof und schauen der Sonne zu, wie sie hinter dem Peace River in der Taiga versinkt. Dann machen wir es uns am Feuerpit gemütlich und warten auf die Dämmerung.
Die Lage des Campgrounds mitten im Ort bringt ziemlich viel Lichtverschmutzung mit sich. Die Straße zwischen Flussufer und Campground hat Straßenlaternen und es kommen auch ständig Fahrzeuge vorbei, die mit ihren Scheinwerfern die Gegend aufhellen. Dieses Nachteils wohl bewusst bauen wir Stative und Fotoequipment auf, den der Himmel ist klar und die ersten Sterne erscheinen am Firmament. So sollte doch trotz des urbanen Lichts um uns herum etwas am Himmel zu erkennen sein, sofern heute überhaupt etwas an Sonnenteilchen die Erdatmosphäre erreichen sollte.
Was dann aber passiert, hätten wir in unseren kühnsten Träumen nicht gedacht. Es ist ein Nordlichterfeuerwerk, was sich da über uns entfaltet. Erst sind es nur die ruhigen grünen Streifen, die sich im Nordosten und im Nordwesten empor recken und sich zu wabernden Bögen formen. Doch sie sind bereits jetzt kräftig genug, um die Reste der Abenddämmerung und die Lichter der Ortschaft zu überstrahlen.
Da wir unterwegs keine zuverlässige Nordlichtvorhersage bekommen konnten, wird uns erst jetzt klar, dass heute scheinbar ein geomagnetischer Sturm im Anmarsch ist.
Es bleibt nicht bei den typischen Bögen an der nördlichen Himmelshäfte. Das was sich nun entwickelt, hätten wir auch an der anderen Flussseite gut beobachten können. Das Nordlichtoval kommt immer weiter in den Süden und steht bald flächendeckend über uns.
Auch die Agilität und die Farbenpracht wird immer stärker und die Lichter immer heller. Sie beginnen regelrecht zu tanzen. Mehrfach wechseln die Bereiche am Himmel, wo sich Koronen mit scharfen Strahlenbündeln von oben in alle Richtungen auseinander bersten. Dieses sogenannte Flaming ist die Krönung der Nordlichterscheinungen neben der Corona, aber auch alle anderen Formen der Aurora Borealis bekommen wir in dieser Nacht zu sehen.
Das Fischauge ist in den Zenit gerichtet und zeigt ein senkrecht über uns entstehendes Flaming |
In einer Phase relativer Ruhe am Himmel entschließen wir uns, das Equipment zusammen zu packen und zum Fluss hinunter zu laufen. Es ist ein kleiner Füßmarsch durch die Nacht, aber wir wollen noch mal eine andere Perspektive erschließen.
Die kleine Picknick-Area am Fluss bei Nacht |
Da es die Nacht zum Sonnabend ist, scheint in Fort Vermilion Partystimmung zu sein und noch immer fahren Autos durch den Ort und von Zeit zu Zeit auch zum Fluss. Wir steigen hinab zu einem Bootsanleger und bauen dort die Kamera nochmals auf. Auch diese Nachtwanderung hat sich gelohnt, wie wir dann sehen konnten. Die Nordlichter blieben zwar ruhiger, aber sie waren dennoch sehr stark und präsent.
(Die Wölbung des Horizontes kommt durch die Verwendung eines 10mm-Fisheye Objektives zustande. Die Verzerrung wurde bewusst nicht korrigiert.)
Weit nach Mitternacht waren wir endlich in unserem Camper und begaben uns ins Bett. Beim Abgleiten in den Schlaf hatten wir die tanzenden Auroras vor Augen. Hier noch eine zusammenfassende Time-Lapse dieser Nordlichternacht:
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