Dienstag, 23. Juni 2015

Einmal Yellowstone und zurück... Lady Louise, die Dritte

R&G

Durch unseren Vorstoß bis zum Castle Mountain am gestrigen Abend, der gezwungenermaßen durch die geschlossenen Campgrounds im Kootenay Park zustande gekommen ist, sind wir nun nur noch einen Katzensprung von Lake Louise entfernt. Im Nachhinein erweist sich dies als Chance, noch mehr Zeit für eine Wanderung mit Aussicht auf den See von oben zu haben.

Der Wunsch nach einer anderen Perspektive auf den Lake Louise hat eine Vorgeschichte. Auf vergangenen Touren waren wir zweimal an dem See, hatten aber immer nur zeitliche begrenzte Stippvisiten eingeplant. Dies hatte zur Folge, dass wir stets nur die Sicht über den See vom Ufer am Fairmont Chateau Lake Louise Hotel hatten. Die Perspektive, die sich hier eröffnet, ist sicher toll, aber es ist auch einer der am meisten überlaufenen Stellen im Banff Nationalpark. Ein Touristenbus nach dem anderen rollt hier auf den gewaltigen Besucherparkplatz und meist asiatische Touristen drängen sich Schulter an Schulter auf der Uferpromenade im Selfie-Rausch.

Aus diesem Grunde und weil bei den vergangenen beiden Besuchen jeweils das Wetter den See in ein düsteres wolkenverhangenes Szenario versetzte, wollen wir diesmal eine Wanderung machen. Sie soll uns weg von dem touristischen Trubel am Ufer hinauf auf eine Bergflanke führen und neben mehr einsamer Natur auch eine andere, außergewöhnlichere Perspektive auf den See geben. Somit geben wir den Startschuss: Lady Louise, die Dritte!

Natürlich beginnt der Tag zunächst auf dem Castle Mountain Campground. Die Sanitäreinrichtungen sind in einer Art Container untergebracht und enthalten WC und Waschbecken mit warmem Wasser. Was den morgendlichen Ablauf einschließlich Frühstück anbelangt, sind wir mittlerweile recht effektiv und ohne dass wir hetzen, sind wir schnell abfahrbereit. Vom Campground bis zum Parkplatz am Lake Louise sind es etwa 30 Kilometer, bei Parkway-Geschwindigkeit eine halbe Stunde Fahrt. Auf dem Weg dahin läuft uns auf dem Parkway 1a doch tatsächlich ein Schwarzbär über den Weg.
Das ist doch ein verheißungsvoller Auftakt an diesem Morgen.

Auf dem Parkplatz werden wir von Einweisern zum Bereich für Wohnmobile durchgewunken. Noch sind die weitläufigen Parkplätze ziemlich leer, aber ein Fahrzeug nach dem anderen, darunter auch Busse, trudeln ein. Ein Weilchen dauert es noch, bis wir alle Wanderutensilien zusammengestellt und die entsprechende Kleidung nebst Schuhwerk angezogen haben. Es erfolgt noch ein prophylaktischer Besuch der Toiletten und wir stiefeln los.

Am Ufer vor dem Fairmont Chateau Lake Louise verweilen wir dennoch, aber die altbekannte Szenerie von Besuchermassen, die den Blick auf ihre Weise genießen und sich auf Selfies mit ihm verewigen, ist auch so früh am Morgen schon in vollem Gange. Aber im Gegensatz zu unseren vergangenen Visiten ist das Wetter schön. Die Berge im Hintergrund sind diesmal nicht wolkenverhangen und ihre Gipfel strahlen in der Morgensonne umrahmt von blauem Himmel und dem einen oder anderen weißen Schönwetterwölkchen im Hintergrund.

Langsam laufen wir zuerst am Lake-Shore-Train entlang. Eine Übersichtskarte am Ufer informiert über die Wanderwege. Wir entscheiden uns, einen Wanderweg zum Lake Agnes zu gehen und dabei einen Abstecher zum Little Beehive zu machen, der eine weite Sicht über das Bow Valley bieten soll. Über eine andere Wegeführung vom Lake Agnes wollen wir dann wieder absteigen. Das wird also unsere geplante Wandertour sein und wir hoffen dabei auf einige tolle Ausblicke auf den Lake Louise.

Der Aufstieg zum Lake Agnes zweigt vom Lake-Shore-Trail, dem Uferweg schon unweit hinter dem Hotel Ressort ab. Forschen Schrittes wandern wir in den Berg. Allerdings sind wir auch hier nicht wirklich allein. Ein stetiger Strom von Touristen, meist echte Bergwanderer mit entsprechendem Outfit, aber auch der eine oder andere Lackschuhtourist steigt auf dem Weg nach oben. Mit zunehmender Höhe trennt sich zwar die Spreu vom Weizen, aber es ist doch ein recht begangener Wanderweg und das bleibt er bis zum Lake Agnes.

Es dauert ein ganzes Weilchen, bis der Weg einen Blick über den See freigibt. Noch ist er gesäumt von hohen Bäumen, die es nicht erlauben, den See im Ganzen zu überblicken. Aber der Ausblick ist ein Vorgeschmack auf das, was wir weiter oben noch an Fernblicken geboten bekommen. Die meisten, der Wanderer halten hier bei ihrem Aufstieg. Es ist eine gute Gelegenheit, zu verschnaufen und dabei bereits einen schönen Ausblick zu genießen. Doch das meiste an Höhe liegt noch vor uns und so wandern wir weiter. Der Seeblick entschwindet vorerst wieder hinter den Baumwipfeln und unser Weg verlässt zudem die Bergflanke und führt auf ein sattelartiges Zwischenplateau am Berghang.

Nach einigen Wegeminuten gelangen wir an einen kleinen See. Es ist noch nicht der Lake Agnes. Dieser kleine See heißt Mirror Lake. Er ist kreisrund, sehr klar und von hohen Bäumen umstanden. Das lässt ihn etwas verwunschen wirken, zumal sich über den Baumwipfeln hinter dem See die gewaltige Felswand des Big Beehive erhebt. Dieser Felsgipfel erinnert an einen Bienenkorb in XXL. Auch er kann bestiegen werden, was wir aber vorerst nicht geplant haben.

Der Bergsattel ist hinter dem Mirror Lake zu Ende und die Bergflanke steigt wieder an. Somit steigt auch der Wanderweg wieder an und führt nach oben zu einem weiteren Satteltal zwischen Big Beehive und einem Bergrücken, welcher zum Little Beehive ausläuft. Diesen können wir hinter den Bäumen nicht sehen. Aber das Satteltal, von dem ein Sturzbach in den Mirror Lake strömt, erreichen wir nach einem steilen Aufstieg und kommen damit zum Lake Agnes.

Der Lake Agnes ist ein echter Gletschersee, umgeben von mächtigen Bergriegeln und gespeist vom eisigen Schmelzwasser der umliegenden Eisfelder. Er selbst liegt in einem Bergzirkus nackter Felsgipfel, die kaum noch Pflanzenbewuchs zulassen. Umso erstaunlicher ist es, dass am Ufer des Sees eine traditionsreiche Ausflugsgaststätte liegt, das Lake Agnes Tea House.

Bevor der See und das rustikale Teehaus sich unseren Blicken öffnen, geht es über eine steile Treppe parallel zu einem Wasserfall über einen Felsvorsprung. Er liegt wie ein Riegel quer vor dem Lake Agnes und wie über eine Schwelle, verlässt ein Sturzbach den See. So sehr sich die Wanderer auf dem Weg verlieren, so sehr sammeln sie sich an solchen Wegezielen wieder an. Aber der Blick ist es wert. Es ist nicht der Blick hinunter zum Lake Louise, sondern der Blick in den Felsenkessel des Lake Agnes. Bänke erlauben es, auszuruhen und zu verweilen, ohne zwangsläufig im Teehaus einzukehren. Dennoch besuchen viele Wanderer das Lokal und genießen den Ausblick bei einem Tee auf der Terrasse. Hier am Teehaus sind wir 500 Meter über dem Lake Louise. Wir verweilen etwas am Ufer, beobachten einen vorwitzigen Stellers Jay - auf Deutsch Diademhäher genannt - und steigen dann an der rechten Bergflanke weiter hinauf zum Little Beehive.

Den Little Beehive selbst werden wir nicht sehen können, da wir so an der Bergflanke zu ihm aufsteigen, dass wir uns der Felsformation von hinten nähern und letztlich oben auf seiner Spitze stehen. Auf dem Weg dahin ergeben sich endlich die ersehnten Perspektiven auf den Lake Louise. Aber auch den Mirror Lake sehen wir nun von oben und erkennen, dass seine kreisrunde von Wald eingerahmte Wasserfläche einem kleinen Spiegel gleicht - darüber trutzig der Big Beehive.


Am Ende des Trails erreichen wir den Aussichtspunkt auf dem Little Beehive. Er ist 2225 Meter hoch. Hier sieht man nicht nur den Lake Louise, sondern überblickt das ganze Bow Valley. Man sieht sogar das Tal des Kicking Horse River nach Westen abzweigen und mit ihm die Bahnstrecke der Canadian Pacific Railroad. Ergreifender Weise kommt gerade ein superlanger Güterzug vom Kicking Horse Pass angerollt dröhnt als kilometerlanger Lindwurm durchs Tal nach Osten.

Der Weg zum Little Beehive ist ein Stichweg. Wir müssen also zum Lake Agnes zurück. Dort müssen wir über eine alternative Abstiegsroute nachdenken. Da es bergab geht, sind wir relativ schnell wieder an dem Bergsee und entschließen uns außerplanmäßig, auch zum Big Beehive hinaufzusteigen. Dies erscheint uns zweckmäßig, denn vom Aufstieg zum Big Beehive zweigt ein alternativer Abstieg zum Lake Louise ab.

Um auf den Big Beehive zu kommen, gilt es zuerst den Lake Agnes zu umrunden. Dabei kommen wir über Geröllfelder und Schneefelder am hinteren Ende des Hochtals. Schließlich geht es an der linken Talflanke in Serpentinen steil am Hang hinauf. Es ist ein anstrengender Aufstieg, doch er offenbart auch schöne Ausblicke über den Lake Agnes von oben. Schließlich erreichen wir den Bergrücken, der das Hochtal des Lake Agnes vom tief liegenden Tal des Lake Louise trennt. Hier zweigt unser alternativer Abstieg ab. Wir haben jetzt nur noch einige hundert Meter auf dem Bergrücken zu gehen, um auf die äußerste Spitze des Big Beehive zu gelangen.
Auch hier gibt es mehrfach tolle Aussichten auf den Lake Louise, der von hier oben, wie Milch mit Waldmeistersirup wirkt - milchig grün. Die Kanus auf dem See wirkten von hier oben, als seien schwarze Insekten auf der Milch kleben geblieben.

Am Aussichtspunkt des Big Beehive angelangt, stielt ein Kiefernhäher (Clark's Nutcracker) dem Lake Louise die Show. Er flattert und scharwenzelt um die Besucher herum und scheint sich Hoffnung auf kleine Leckereien zu machen. Wir fotografieren ihn ebenso, wie alle anderen und sehen dann zu, wie wir ein möglichst perfektes Selfie machen können. Es zeigt sich ein weiteres Mal: An solchen Plätzen gehören von fünf Minuten je Vier dem Fotografieren und Eine dem Genießen der Aussicht. Ein verwitterter Shelder aus Baumstämmen steht hier auf dem Fels. Ansonsten aber muss man sich über Felsen kletternd um einen Ausblick bemühen. Schließlich machen wir uns auf den Rückweg.

Kurz vor dem Abstieg zum Lake Louise verweilen wir an der Wegegabelung um einen Adler über dem Tal zu sichten, der dort vor kurzem noch kreiste, doch er bleibt verschwunden. Wir machen uns also auf den steilen Abstieg. Es ist, wie jedes Mal auf solch steil abfallenden Wegen, eine Marter für die Kniegelenke. Trotz Walkingstöcker sind wir recht langsam und knieschonend unterwegs und werden mehrfach von jungen Hüpfern überholt.

Nun kommen wir an eine weitere Gabelung, die zuvor nicht so wirklich auf der Karte zu sehen war. Die Vermutung liegt nahe, dass der rechte Weg der längere sein dürfte, da er weiter entfernt vom Parkplatz auf den Seeuferweg treffen sollte. Also nehmen wir den Linken. Auch dieser Weg zieht sich hin. Zuweilen geht er nicht bergab sondern steigt sogar an. Irgendwann kommen wir zu unserer Überraschung wieder am Mirror Lake heraus. Zumindest ist von nun an der Rest des Rückweges vorhersehbar, da wir diesen Abschnitt schon kennen.

Den Knien ist das egal; sie leiden immer mehr. Wir akzeptieren, dass uns weiterhin jüngere Wanderer mit Leichtigkeit überholen. Aber über jene Wanderer, die jetzt erst, zu so vorgerückter Stunde mit dem Aufstieg beginnen, wundern wir uns. Als wir endlich den Lake-Shore-Trail erreichen, gönnen wir und ein paar Minuten auf einer der zahlreichen Bänke und haben zum Abschluss nochmal den klassischen Blick über den See.

Die letzten paar hundert Meter zum Parkplatz laufen wir mit schweren Beinen, schmerzenden Knien und glühenden Fußsohlen. Aber wir fühlen uns sehr zufrieden mit dem geleisteten Tagwerk und die vielen Impressionen waren die beste Belohnung.

Somit liegen nur noch Ruhe und kulinarische Freuden zum Abschluss des Tages vor uns. Nachdem wir uns der Wanderschuhe entledigt haben, fahren wir von Lake Louise zurück ins Bow Valley und dann auf den Parkway 1a. Den Castle Mountain passieren wir und fahren weiter ostwärts bis zum Johnston Canyon. Direkt gegenüber vom Zugang zum Canyon liegt der gleichnamige Campground. Hier checken wir zur Nacht ein. Erfreulicherweise hat dieser Platz auch warme Duschen, die uns nach einer solchen Wanderung sehr willkommen sind.

Der Johnston Canyon steht morgen auf dem Plan. Doch heute wiegt uns das regelmäßige rattern der Canadian Pacific Railway-Züge mit regelmäßigem Heulen der Signalhörner in den Schlaf.

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