Freitag, 16. September 2016

Von Yellowknife nach Whitehorse - Jäger im Nahanni Range

R&G
Der heute Tag soll einer planmäßigen Entschleunigung dienen. Daher wird heute nicht gefahren. Wir bleiben auch die nächste Nacht hier und werden den heutigen Tag ruhig und in der näheren Umgebung verbringen. Im Kern unserer heutigen Unternehmungen soll eine Wanderung stehen.

Wir können uns also ein gemütliches Frühstück gönnen (noch gemütlicher als sonst) und in aller Seelenruhe Überlegungen für eine Wanderung anstellen. Ein Problem dabei ist sicherlich, dass es keine Wege und schon gar keine Wanderwege hier gibt. Somit kann man eigentlich nur zwei Strategien anwenden. Die Erste wäre, am Ufer des Flusses zu laufen und die Zweite wiederum hieße, die Straße entlang zu gehen in der Hoffnung, es kommt irgenwann mal ein Forstweg oder ähnliches.

Wir entschließen uns zur ersten Strategie, und suchen das Flussufer auf um am Fluss entlang stromaufwärts zu gehen. Zuerst einmal heißt das, oberhalb des Steilufers durch den heideartigen lichten Wald zu laufen, denn es gibt an unserem Ausgangspunkt keinen geeigneten Abstieg vom Steilufer zum Fluss und auch keinen begehbaren Ufersaum unten am Wasser. Es scheint auch vor vielen Jahren hier mal einen Waldbrand gegeben zu haben, denn die Bäume sind relativ jung und am Boden liegen verkohlte älter Stämme im üppig wuchernden Gras.
Auch Heidelbeersträucher wachsen überall und es sind auch trotz der späten Jahreszeit noch Beeren zu finden. Sie sind teilweise wie Rosinen, etwas eingetrocknet und schrumpelig, dafür aber von schwerer Süße. Wir kosten natürlich reichlich davon.

Irgendwann wird das Steilufer niedriger und ein Abstieg zum Fluss wird möglich. Nun laufen wir auf dem kieseligen Spülsaum des Hyland River.

Was das Beobachten von Tieren anbelangt, befinden wir uns in einem Dilemma. Denn wenn man Tiere beobachten will, muss man leise sein. Will man andererseits zu seiner Sicherheit potentiell gefährliche Tiere auf Distanz halten, muss man sich bemerkbar machen, also laut sein. Wir verhalten uns eher laut, denn so ungeschützt im Wald geht Sicherheit vor und vielleicht haben wir ja das Glück, ein größeres Tier am anderen Flussufer zu entdecken.

Aber leider erfüllt sich diese Hoffnung nicht. Statt dessen treffen wir nach etwa einem Kilometer auf einen Wildwasserbach, der in den Hyland River mündet und uns den weiteren Weg versperrt. Ohne Watstiefel ist er für uns unpassierbar, wenn wir nicht hüfthoch nass werden wollen. Also gehen wir in einigem Abstand von diesem Bach, der zudem eine morastige Uferzone hat, durch den Wald. Dabei unterhalten wir uns normaler Lautstärke.

Warum ist das sicherer, als leises Fortbewegen? In diesen Regionen gibt es eigentlich nur drei Tiere, die einem Menschen gefährlich werden können - sogar tödlich, das sind der Bär, der Elch und der Wolf. Pumas gibt es so weit im Norden nicht und Luchse und Vielfraße sind eine wenig wahrscheinliche Gefahr.

Der Bär (Schwarzbär und Grizzly):
Bei Bären ist der Mensch nicht als Beute, sondern als Revier- und Nahrungskonkurrent angesehen. Unter normalen Umständen wahrt er selbständig die Distanz, wenn er Menschen wahrnimmt. Ausnahmen sind folgende: Der Claim einer wichtigen Nahrung, zum Beispiel eines Kadavers, welchen der Bär beansprucht und verteidigt. Das gilt im übrigen auch für einen Lachfangplatz am Fluss. Weiterhin Bärinnen mit Jungen, die nicht die Möglichkeit sehen, einem Menschen auszuweichen. Und zuletzt die wohl gefährlichste Situation - agressive Männchen mit Reviergebaren. Diese Ausnahme ist insofern am gefährlichsten, weil in diesem Fall auch lautes Verhalten im Vorfeld nicht wirklich hilft. Für diesen Fall haben wir als einziges Mittel Pfefferspray dabei, in der Hoffnung, es nicht einsetzen zu müssen.

Der Elch:
Elche sind groß und wehrhaft, vor allem die Bullen. Sie sind imstande, einen Menschen zu töten. Eine Gefahr für den Menschen sind sie aber nur, wenn man die Sicherheitsdistanz renitent unterschreitet. 30 Meter sind eine vernünftige Grenze, aber ab wann die Tiere genau reagieren würden, ist fallweise unterschiedlich und hängt davon ab, ob Jungtiere dabei sind, oder ob sie gut ausweichen können, oder in die Enge getrieben sind. Sie reagieren dann auf den Menschen, wie auf ein Raubtier, etwa den Wolf und greifen mit Tritten und Geweihstößen an. Bullen können zudem ein Reviergebahren zeigen. Hier ist ein noch größerer Abstand empfohlen.


Der Wolf:
Der Wolf ist ein echter Jäger und ein reiner Fleischfresser. Für ihn ist es normal, große Beutetiere zu jagen und dazu gehört gegebenenfalls auch der Mensch. Dabei haben Einzelgänger und Rudel leicht unterschiedliche Strategien. Während der Einzelgänger ohne Rudelanschluss geschwächte Beutetiere oft tagelang verfolgt und sich mit größter Vorsicht nähert, kann ein Rudel zielgerichteter und mit verteilten Jagdrollen vorgehen. Doch auch ein Rudel hält eine Verfolgungsphase ein, in der es Risiken durch Beobachten bewertet. Der Mensch hat hier eine gute Chance bei folgendem Verhalten: Selbstbewusstsein und Gesundheit demonstrieren und sich stetig aber ohne Fluchtbewegungen in Richtung sicherer Zuflucht bewegen. Dabei dem Wolf immer wieder zeigen, dass man auch ihn beobachtet. Diese Strategie bietet gute Chancen - auch über Stunden, aber spätestens mit dem ersten Testangriff wird der Wolf oder das Rudel besser erkennen, wie weit man bei seinem Opfer gehen kann - dann heißt es, so schwer es auch sein mag: wehrhaft sein, knüppeln, auf den Angreifer zu laufen, allerdings läuft dann die Uhr, den der Wolf ist nun im Angriffsmodus.

(alle Beispielfotos selbst geschossen bei realen Sichtungen)




Kleine Räuber:
Keine tödliche Gefahr aber ein potentielles Verletzungsrisiko kann von Kleintierjägern wie Luchs und Vielfraß ausgehen. Dabei ist der leise Luchs nicht vorhersehbar. Aber einen "Verwechslungsangriff" durch ihn (Kinder sind potentiell stärker gefährdet) von oben kann man durch schützende Kleidung und Kopfbedeckung mindern, danach gilt - Paroli bieten. Der Vielfraß als größter Marder kann sehr agressiv werden, wenn er glaubt, man will an seine Beute. Abstand halten reicht hier.





Der doch recht anstrengende Weg durch den Wald führt schließlich zur Straße zurück. Wir überqueren sie und folgen dem Wildwasserbach weiter. Er hat sogar einen Namen - North Moose Creek, das hat nicht jeder Bach in den Bergen vorzuweisen. Auch hier finden wir nochmal prächtige Heidelbeerfelder, aber keinen Elch, wie der Name des Baches erwarten ließe.

Doch dann wird es abermals schwierig in der sumpfigen Niederung am Wasser weiterzugehen und wir kehren zur Straße zurück. dort laufen wir ein Stück entlang, bis wir Quadspuren in den Wald entdecken. Ihnen folgen wir und überwinden einen merklichen Anstieg. Die Spuren verlieren sich in mehreren Pfaden, aber wir sehen eine exponierte und zugleich lichte Anhöhe, die wir erklimmen. Es ist ein guter Beobachtungpunkt und wir haben sogar aus gehöriger Höhe den vollen Blick auf eine Windung des North Moose Creek mitsamt seiner umliegenden Niederung. Eine gute Stelle, um zu verweilen, zu rasten und das tief liegende Gelände zu beobachten. Vielleicht lässt sich ja doch noch ein Tier blicken. Doch außer, kleinen Singvögeln und dem einen oder anderen Baumhörnchen sehen wir nichts.

Die scheinbar kurze Wanderung hat aber einige Stunden gedauert und wir gehen auf direktem Weg (die Straße entlang) zum Campground zurück. Dort verbringen wir den Rest des Tages und beobachten auch immer wieder das andere Ufer des Hyland River, doch ohne Erfolg.

Der alte Jäger, der sich im Shelder einquartiert hat, ist mit seinem Pickup weggefahren. Wir sind so mutig und schauen uns mal an, wie er sich so einquartiert hat. Die bereits erwähnte Klappliege steht in der Nähe des Kanonenofens. Lebensmittel hat er scheinbar nicht in Transportboxen verstaut - vieles steht offen auf einem Tisch, aber sein Jagdgewehr steht, an einen Pfosten gelehnt, einfach hier herum. Na, wir wollen uns nicht beim Rumschnüffeln erwischen lassen und gehen weiter über den Platz. Auch beim Jägercamp der jungen Burschen kommen wir nochmal vorbei. Ein großer Toyota Tundra steht verlassen da. Sie sind wohl auf ihren Quads unterwegs.

Aber es kommt Leben auf den Platz. Zum Wochenende kommen weitere Jagdgesellschaften herangerollt und belegen einige der freien Plätze. Zwei junge Burschen in Camoflage schlendern vorbei und grüßen uns. Dann rangieren sie ihren Pickup-Camper mit großem Anhänger auf einen freien Stellplatz.

Wir machen es uns am Lagerfeuer gemütlich und wenn man seinen Klappstuhl oben auf die Picknickbank stellt, kann man sogar sehr bequem den Fluss und die Heide davor observieren.

Schon den ganzen Tag gibt es genügend Wolkenlücken, sodass die Sonne immer wieder durch die aufreißendende Wolkendecke bricht und dramatische Lichtstimmungen zaubert. Jetzt, wo sie im Begriff ist unterzugehen, färbt die Sonne die Gipfel der Logan Mountains im Osten glutorange. So schauen wir dem Tageslicht beim Schwinden zu und bleiben draußen, bis es nahezu völlig dunkel ist.






 

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